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»Einkehren im Gasthaus Kirche«

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Plant man einen Urlaub oder Ähnliches, ist es heute üblich, die Homepages von Hotels und Gasthäusern nach ansprechenden Angeboten zu durchforsten, um einen Ort zu finden, wo man sich mit den Seinen wohlfühlt und gerne Zeit verbringt. Frei nach Goethe habe ich mir gedacht »Wozu in die Ferne schweifen?« und mir die Web-Auftritte einiger Gasthäuser in unserem Pfarrverband angesehen. Bei den verlockenden Angeboten ist es kein Wunder, wenn so viele Menschen in unserer Gegend Halt machen und in den Gasthäusern einkehren, denn hier könne man sich wohlfühlen und entspannen und die lockere Atmosphäre böte sicherlich für jedermann und jederfrau während des Aufenthalts eine sorglose Zeit. Man liest auch immer wieder von Achtsamkeit, Herzlichkeit und Ruhe, weswegen die Häuser der Region die idealen Orte seien, um gemeinsam Feste zu feiern. Bei so viel herzlicher Gastfreundschaft glaube ich gerne, dass Gäste zu Freunden werden können.

Beim Lesen dieser Zeilen habe ich tatsächlich Lust auf Urlaub bekommen, denn wovon hier gesprochen wird, ist doch etwas, wonach wir uns – nicht nur in der Hektik des Alltags – sehnen: Beziehung, Freundlichkeit, Erholung, Genuss und Angenommen-Sein, Zeit zum Nachdenken und für sich selbst. Unweigerlich müssen wir zum Schluss kommen, dass Gasthäuser (wir wollen hier diesen Begriff für alle Häuser verwenden, die Gäste beherbergen) heute nicht nur ein Angebot bereitstellen, sondern weit mehr: »Es geht um mich, ganz um mich, um mich als Ganzes. Die Gasthäuser bieten sich an als Raum für die besonderen Momente im Alltag, für die kleinen und großen Übergänge und die dafür wichtigen Rituale, für das ganze Leben. Sie sind Orte der Einkehr […].« Zu diesem Urteil kommt die deutsche Theologin Birgit Hoyer im Aufsatz »Kirche als Gasthaus« (Diakonia 11|2013). Vielleicht lohnt es sich einmal aus kirchlicher Sicht darüber nachzudenken, denn war es nicht immer unser Metier, unser kirchlicher Anspruch, dem ganzen Menschen ein Angebot zum Innehalten, Krafttanken und zur Sinngebung zu bieten? Waren Heilung und Einkehr nicht das, was man von uns verlangte? Und warum steht nicht auf unseren kirchlichen Homepages und Aussendungen: Mauern und Gewölbe, die ihresgleichen suchen, wurden zu neuem Leben erweckt.

Wir wollen hier nicht den Fehler machen und Äpfel mit Birnen vergleichen, denn freilich gibt es Merkmale von Gasthäusern und Kirchen, die nicht einfach auf den jeweils anderen übertragbar sind. Auch die beste Homepage mit den tollsten Werbeankündigungen wird uns als Kirche(n) nichts nützen, wenn uns die Botschaft nicht abgenommen wird. Es ist ja offensichtlich, dass zumindest in unseren westlichen Ländern immer mehr Menschen der Kirche den Rücken kehren, obwohl viele dennoch ein Bedürfnis nach Religion haben. »Die Kirchen sind eben nicht mehr der Ort, an denen die Lebenswenden und -übergänge begangen werden, kein Ort, an dem sich das Gemeinwesen erlebt.«, wie auch Birgit Hoyer feststellt. Daher stellt sie die scheinbar provokante These auf, man könne doch von Gasthäusern etwas lernen, die für Menschen ganz bewusst ein Angebot setzen, die Hektik und Anstrengung hinter sich zu lassen und für Körper, Geist und Seele etwas Gutes zu tun. Einigen mag hier das Gebet und der Gottesdienst zu kurz kommen, doch hat nicht schon Jesus eingemahnt, er wolle Barmherzigkeit und nicht Opfer (Mt 9,13). Haben nicht auch die Propheten darauf hingewiesen, Gott missfielen Gaben, wenn der Dienst am Menschen vergessen werde. (Amos 5,18-27) Und heißt es nicht, der Sabbat (Sonntag) sei für den Menschen gemacht? (Mk 2,27)

An dieser Stelle soll nicht die Lanze für einen Sonntag ohne Gottesdienst gebrochen oder die Messe am Wellness-Altar geopfert werden. Keineswegs. Ich möchte aber gemeinsam mit Birgit Hoyer die Frage stellen, ob es nicht auch einmal sinnvoll wäre, die Adressaten kirchlicher Gastlichkeit, also die Gläubigen selbst zu fragen und auf sie einen Schritt zuzugehen, denn das wäre ein Zeichen, sie ernst und ihre Bedürfnisse wahrzunehmen. Gleichzeitig ist die Kirche|Pfarre kein bloßer Dienstleister, der sich nach der erstbesten Laune zu richten hat. Angebote dürfen ausgeschlagen werden oder sprechen leider nicht alle an. Es geht bei der Gastlichkeit nicht um ein »ich bin mal nett und lade mir ein paar Gäste ein«, sondern um ein professionelles und verlässliches Angebot von Begegnung in wählbarer Distanz oder Nähe, von wohlwollender Aufnahme, von gutem Leben.

Vielleicht ist der synodale Prozess von Papst Franziskus, der in den Diözesen und Pfarren unterschiedlich umgesetzt wird, eine Chance, auf eine professionelle und ehrliche Art aufeinander zuzugehen und sich etwas mehr nach den Bedürfnissen der Menschen zu richten, wie es eben auch die Gasthäuser tun müssen, um Gäste in ihre Häuser zu holen. Ich denke nicht, dass mehr Demokratie oder die Aufwertung der Frauen, um nur zwei markante Aspekte zu nennen, tatsächlich eine Bedrohung für die kirchliche Botschaft wären und alles Heil verloren ginge, wenn etwas mehr Zeitgeist in die alten Mauern und Gewölbe der kirchlichen Lehrmeinungen Einzug halten würde. Ich glaube, Jesus war da nicht so ängstlich, sondern hat allen Menschen zugetraut, auf rechte Art zum Glauben zu kommen, sagte er doch zum Sünder Zachäus: »Heute noch muss ich in deinem Hause Gast sein!« Zachäus hätte übrigens Jesu Angebot auch ausschlagen können, aber er hat es vertrauensvoll angenommen. Zur Gastlichkeit gehören also immer zwei!

Wenn die Kirche – und damit sei hier nicht nur das Kirchengebäude, sondern die Kirche als Gemeinschaft – auch heute ein Gasthaus sein will, in dem alle Menschen mit ihren Hoffnungen, Freuden und Sorgen immer wieder Aufenthalt suchen, dann würde es mir als Gläubigem gefallen, wenn sie ab und zu auf mich zuginge, mich nach meinen Bedürfnissen fragte und mir damit ein spannendes Angebot unterbreitet, das unserer modernen Welt und meiner Suche nach Gott gerecht werden kann. Dieses Angebot braucht gar nicht billig sein, schon gar nicht soll es anbiedernd sein und auf bloßes Amüsement abzielen. Wo man auf mich mit meinen Bedürfnissen zugeht, dort gehe auch ich entgegen, in dieses »Gasthaus« werde ich gerne einkehren. Oder wie Birgit Hoyer sagt: »Die Rechnung kann nicht ohne den Gast gemacht werden. Ohne die Menschen von heute gibt es keine Kirche!«

Text: Raimund Stadlmann
Bild: © AdobeStock_112322084.jpeg