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»Ich und Du«

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Beziehung leben

In den vergangenen Wochen, ja Monaten haben wir alle ganz neuartige Erfahrungen machen müssen. Die Covid19-Krise hat unser aller Leben und Zusammenleben durcheinandergewürfelt und viele Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt. Wähnten wir uns nicht in völliger Sicherheit, als wir im Winter aus den Medien von einem Virus hörten, der eine ferne chinesische Stadt heimsuchte? Glaubten wir uns nicht gänzlich unbetroffen von den Kranken der Millionenmetropole Wuhan?

Nun, etwa ein halbes Jahr später und mitten in einer Pandemie wissen wir, wie sehr wir Menschen auf dieser Welt miteinander verbunden sind und miteinander auch über Grenzen und große Entfernungen hinweg in Beziehung stehen, denn Viren können sich nur dann verbreiten, wenn sich Menschen begegnen und in Kontakt miteinander treten. Um eine Verbreitung des Virus so weit wie möglich einzudämmen, sollten wir daher das auf das Notwendigste beschränken, was uns zu Menschen macht: das Miteinander.

Daher sind wir zuhause geblieben, wo uns das möglich war, und haben unsere Kontakte reduziert. Das scheint eine Zeit lang recht gut funktioniert zu haben, doch neben den gesundheitlichen und wirtschaftlichen Sorgen hat sich für viele zunehmend auch eine weitere Frage gestellt: Wie können wir in dieser Situation Beziehungen leben? Denn während die einen alleine bleiben mussten, waren andere zum stetigen Zusammenleben in ihren vier Wänden gezwungen. Gemeinsam mit den Mühen des Alltags ist das einmal gut gelungen, dann wieder war es schwieriger.

Aber wir haben gemerkt, wie sehr wir auf Beziehungen, auf Verwandte, Freunde und Bekannte angewiesen sind. Da sind uns die Arbeitskollegen abgegangen, wir sehnten uns nach den Schulfreundinnen, haben die Sportkameradinnen vermisst, das Gespräch auf der Parkbank und die regelmäßigen Treffen mit Freunden – etwa zum Kartenspiel. Dabei haben wir gemerkt, dass Videokonferenzen oder andere digitale Lösungen nicht das gleiche sind wie leibhaftige Begegnungen. Sie mögen gut und wichtig sein, um uns in bestimmten (Not-)Situation zu helfen, doch sie sind kein echter Ersatz.

Auch in unseren Kirchen und Pfarren haben wir uns auf die neuen Herausforderungen eingestellt und gemeinsam nach Möglichkeiten gesucht, Orte der Begegnung zu schaffen, weil die Begegnung des Menschen mit Gott das zentrale Moment unseres Glaubens ist. Es ist Jahwe gewesen, der sich Mose als der Ich-bin-(da) offenbarte und sich damit als ein Gegenüber vorstellte, dem wir gegenübertreten und das wir ansprechen können. Das war die Revolution in der antiken Götterwelt, denn dieser Ich-bin-(da) war anders als die Götter der anderen Religionen. Er ist nicht jenseitig geblieben, sondern hat sich der Geschichte und Welt des Menschen ausgesetzt. Dieses In-Beziehung-Treten ist mit Jesus Christus wohl zum ICH UND DU Höhepunkt gekommen und gerade in den nachösterlichen Evangelien der letzten Wochen war immer wieder von einem (auferstandenen) Jesus die Rede, der mit den Seinen in Beziehung tritt (Erscheinung vor den Frauen und Aposteln), der den Menschen begegnet (Emmaus) und im Dialog überzeugen will (Thomas).

Weil dieser Gott der Beziehung unser Vater ist, haben wir Christen in unserer Geschichte auch viele Orte, Zeiten und Möglichkeiten der Begegnung mit Gott entwickelt. Neben dem persönlichen Gebet fallen uns hier natürlich sofort die  Sakramente und der Gottesdienst ein. Hier können wir in Dialog mit Gott treten, aber Kirche als Gemeinschaft lässt sich halt nicht bloß auf ein sonntägliches Meeting beschränken. Wenn wir nun auf dieses – wie in den letzten Wochen – aus bestimmten und notwendigen Gründen in der herkömmlichen Form verzichten müssen, dann fragen wir uns, wie wir unsere Beziehung zu Gott und den Mitmenschen aufrechterhalten können. So zentral natürlich die liturgischen Formen sind,  so haben wir gleichermaßen erkannt, was es bedeutet, wenn die Kirche als Versammlungsraum nicht oder nur eingeschränkt zugänglich ist. Man mag es als banal abtun, doch freut man sich nicht auch auf einen gemütlichen Plausch nach der Messe, lacht über den Spaß mit den Ministrantenfreunden oder genießt das zufällige oder beabsichtigte Treffen im Pfarrhof?

Ja, Kirche ist Beziehung – zu Gott und den Menschen.
Die letzten Wochen haben hier vermutlich bei vielen von uns den Blick geschärft und scheinbar Selbstverständliches in ein neues Licht gerückt, das uns weit in die Zukunft leuchten kann. Uns ist wieder bewusst geworden, dass wir mit persönlichem Einsatz, mit Kreativität, mit Rücksichtnahme, Gelassenheit und Freude auch weiterhin diesen Beziehungsraum Kirche gestalten können, wo der Ich-bin-(da) die Mitte ist. Manches Mal bedarf es dazu eines neuen Blickes,einer neuen  Form oder eines mutigen Schrittes von uns allen, um zuversichtlich nach vorne blicken
zu können. Immer aber braucht es die Besinnung auf das Wesentliche.

Die wahre Gemeinde entsteht nicht dadurch, dass Leute Gefühle füreinander haben (wiewohl freilich auch nicht ohne das), sondern durch diese zwei Dinge: dass sie alle zu einer lebendigen Mitte in lebendig gegenseitiger Beziehung stehen und dass sie untereinander in lebendig gegenseitiger Beziehung stehen. […] Lebendig gegenseitige Beziehung schließt Gefühle ein, aber sie stammt nicht von ihnen. Die Gemeinde baut sich aus der lebendig gegenseitigen Beziehung auf, aber der Baumeister ist die lebendige wirkende Mitte.1

Mag der Sommer in unseren Pfarren heuer etwas anders verlaufen: Um Gott, unsere lebendige Mitte, finden alle Platz: Ich und Du!

1 Martin Buber; Ich und Du. 1923


Text: Raimund Stadlmann
Bild: © AdobeStock_342236300.jpeg