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»Gastfreundschaft«

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»Möge der Mensch, der heute als erster deine Türschwelle betritt, dich mit einem Lächeln des Willkommens antreffen.«   Altirischer Segenswunsch

»Wo viele Gäste sind, ist viel Pack.«   Arthur Schopenhauer

Diese zwei Zitate spiegeln gut die oft gegensätzlichen Einstellungen zu diesem Thema wider. Dabei ist interessant, dass das lateinische Wort »hostis« sowohl »Feind« als auch »Gast« bedeuten kann. In ihm ist jenes Zweischneidige bewahrt, das in den beiden Zitaten sichtbar wird. Der Fremde: ein Freund oder Feind.

Werfen wir kurz einen Blick in die Geschichte der Menschheit. Bereits in der Antike galt der Gast grundsätzlich als heilig und Gastfreundschaft war daher eine der obersten Pflichten. Und wie so eine Gastfreundschaft ausgesehen hat, schildert uns der römische Dichter Ovid. Als der Göttervater Jupiter und sein Sohn Merkur nach Phrygien kommen, finden sie keine Unterkunft. Allein Philemon und seine Frau Baucis, ein altes Ehepaar, das in einer ärmlichen Hütte am Stadtrand lebt, üben Gastfreundschaft, nehmen die beiden auf und bewirten sie mit allem, was sie haben. Sie schüren das Feuer im Herd, breiten Decken für ein Lager aus, unterhalten sie und tischen ihnen auf. In diesem Mythos werden wichtige Elemente der Gastfreundschaft deutlich, die auch bis heute Geltung haben: Bewirtung, Obdach, Schutz und Aufnahme in die Gemeinschaft.

Was aber hat Gastfreundschaft mit Gott zu tun?

Sehr viel, denn die Gastfreundschaft spielt auch in allen Religionen eine große Rolle. Vielleicht haben Sie selbst schon damit Erfahrungen gemacht, wenn Sie auf Reisen waren oder mit Menschen anderer Religionen zu tun hatten. Für ihre Gastfreundschaft sind besonders Muslime berühmt. Gastfreundschaft wird im Islam nämlich als besonders wichtig erachtet gemäß der Forderung Mohammeds: »Wer an Allah und den Jüngsten Tag glaubt, soll seinen Gast großzügig behandeln.« (Hadith)
Wer von Ihnen schon einmal in Thailand oder anderen asiatischen Ländern unterwegs war, wird sich sicher vor allem an die Höflichkeit und Gastfreundschaft dieser Menschen erinnern. Meine Frau und ich konnten das selbst auf unseren Reisen nach Ladakh, Thailand, Kambodscha und Vietnam feststellen. Wir begegneten Menschen, die uns beschämt und berührt haben durch ihre Gastfreundschaft. Das hat vor allem mit dem Buddhismus zu tun, dessen Ziel es ja ist, Mitgefühl zu erlangen und dadurch Frieden in die Welt zu bringen. Ein Wort aus dem Hinduismus belegt den hohen Stellenwert der Gastfreundschaft auch in dieser Religion: »Selbst Feinden, die als Gäste zu uns kommen, muss die schuldige Gastfreundschaft erwiesen werden; der Baum beschattet mit seinen Blättern auch denjenigen, der ihn fällt.« (Mahabharata)
In der jüdisch-christlichen Tradition ist Gastfreundschaft ebenfalls sehr tief verankert, ist sie doch ein Ausdruck tätiger Nächstenliebe. Ein Blick in die biblischen Schriften möge das exemplarisch untermauern.
Das Alte Testament ist voll von Geschichten, in denen Gäste unvoreingenommen an- und aufgenommen werden. Ein Beispiel aus dem AT möchte ich herausgreifen: Als Abraham in der Mittagshitze ausruht, stehen drei Männer vor ihm. Er weiß weder, wer sie sind, noch woher sie kommen, dennoch bittet er sie, seine Gäste zu sein. Er lässt Wasser bringen, Essen auftischen und seine Frau Sara backt Kuchen und Brot. Beide nehmen sich viel Zeit für sie. (Gen 18,1-8) Erst später erfahren sie, dass die drei Männer Engel waren. Dass Gott wirklich zu Gast sein kann, lässt diese Geschichte erahnen. Gastfreundschaft ermöglicht also Begegnung mit Gott oder kann selbst eine Gotteserfahrung sein. Ebenso zahlreich sind die Stellen im Neuen Testament, in denen Jesus zur Barmherzigkeit und Gastfreundschaft mahnt, gerade auch den Ärmsten und Geringsten gegenüber. Denken Sie nur an die eindrucksvolle Geschichte vom Zöllner Zachäus. Ihn, den Fernstehenden, holt Jesus aus seinem Versteck im Baum und ruft ihm zu: »Heute muss ich bei dir zu Gast sein« (Lk 19,5). Auch das Gleichnis vom barmherzigen Samariter schlägt in dieselbe Kerbe. Und im wohl berühmtesten Gleichnis vom verlorenen Sohn lädt der Vater seinen auf Abwege geratenen Sohn zu einem Festmahl ein. Jesus will uns damit zu verstehen geben und uns auftragen, vorurteilsfrei auf Menschen aus allen Schichten und Nationalitäten zuzugehen und uns Offenheit für Menschen in Not zu bewahren. Seine Botschaft gipfelt in dem Satz: »Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.« (Mt 25, 35-40) Somit ist Gastfreundschaft tätiger Gottesdienst im Alltag. Vielleicht in Anlehnung an die Geschichte Abrahams mahnt uns auch der Apostel Paulus: »Vergesst die Gastfreundschaft nicht, denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt« (Hebr 13,2).

Fazit: Seit der Zeit der Urgemeinde glauben also die Christen daran, dass die Botschaft von Gottes Liebe mit anderen Menschen geteilt werden muss. Die Bibel bezeugt Gott als Gott aller Nationen und Völker, dessen Liebe und Barmherzigkeit die ganze Menschheit umfasst. Die biblische Gastfreundschaft geht somit über soziale Verantwortung hinaus, indem sie – richtig getätigt – zu einer Gotteserfahrung und Gottesbegegnung werden kann. In diesem Sinne schreibt auch der hl. Benedikt in seiner Regel: »Alle Gäste, die kommen, sollen wie Christus aufgenommen werden, denn er wird sagen: ’Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen’.« Bis heute gilt für die Benediktiner: Im Fremden, der zu Gast ist, wird Christus selbst gesehen – Gastfreundschaft wird damit zum bevorzugten Ort der Gottesbegegnung und Gotteserfahrung.

Text: August Brückler
Quellen: Klöcker, Michael / Tworuschka, Udo (Hg.),
Ethik der Weltreligionen. Darmstadt 2005 | https://www.deutschlandfunk.de/das-verhaeltnis-zum-fremden-gastfreundschaft-
ein-kulturerbe-100.html
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