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Freiraum Kirche

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Spricht man heute mit Freunden, Bekannten und Verwandten über religiöse Themen, dann bekommt man häufig zu hören,
dass die Kirche 
die Freiheit der Einzelnen durch Gebote und Verbote einschränke, dass sie wenig Freiräume
für einen selbst ließe und daher vielen verschlossen bleibe. Stimmt das oder dürfen wir die Kirche auch als offenen Raum verstehen?

Als Papst Johannes XXIII. im Jahr 1962 das II. Vatikanische Konzil eröffnete, wurde der Begriff »Aggiornamento« sogleich zum Leitwort.
Man verstand darunter eine Öffnung der Kirche, was auch häufig mit einem offenen Fenster dargestellt wurde.
Endlich, so die Meinung vieler, würde die Kirche die frische Luft der Welt in ihre verstaubten Räume lassen.
So passend dieses Bild manchmal sein mag, so sehr greift es zu kurz, denn es versteht die Kirche und die Welt als zwei unterschiedliche Räume.
Ist es aber nicht vielmehr so, dass dieses geöffnete Fenster des Aggiornamento die Grenzen zwischen Kirche
und Welt aufhebt und man gar nicht mehr so genau sagen kann, wo draußen und drinnen ist?
Der Raum ist nun nämlich in beide Richtungen offen, zur Kirche und zur Welt hin. Die Grenzen verschwimmen, ein Austausch passiert.

Vielleicht lohnt es sich an dieser Stelle, einmal nicht nur im übertragenen Sinn davon zu sprechen, sondern einen Blick auf konkrete Kirchenräume zu werfen.
Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer hat einmal gemeint: » Die Kirche steht nicht … an den Grenzen, sondern mitten im Dorf « (Widerstand und Ergebung. Briefe aus der Haft).
Die Kirche sei kein Sonderraum, der isoliert im Abseits stehe. Vielmehr sei die Kirche ein Gebäude im Zentrum der Ortsgemeinschaft und das könne sie nur sein, wenn sie
(nicht nur als Gebäude) offen ist.

In unserem Pfarrverband haben wir einen reichen Schatz an Kirchenräumen:
ein großes Stift, mehrere Kirchen, Kapellen, Wegkreuze und vieles mehr.
Besucher von nah und fern, Einheimische wie Touristen gehen über die Schwellen dieser Kirchenräume und sie sind es, die eine Verbindung von Welt und Kirche darstellen.
Was treibt diese Menschen an, in die Kirchen zu gehen?

Was auch immer die Motivation für einen Kirchgang ist, – der Messbesuch, das Gebet oder die Neugierde – Kirchen sind freie Räume, die allen zugänglich sind.
Als solche unterscheiden sie sich auch wohltuend von anderen Gebäuden oder Räumen in unserer kommerzialisierten Welt, denn man muss in ihnen
nichts konsumieren. Ich darf in ihnen einfach nur sein, und das darf ich so lange, wie ich will.
Ob ich in der Kirche nun flaniere und den Raum erkunde, ob ich bewundernd vor mehr oder minder kunstvollen Gegenständen stehe, ob ich mich zum stillen Gebet
oder zum Nachdenken hinsetze oder knieend meine Sorgen und Bitten vor Gott bringe – für alles ist hier Raum.
Und dieser Raum steht nicht abseits der geschäftigen und lauten Welt, sondern mitten in ihr.

Es handelt sich bei Kirchen also nicht um isolierte Räume für einige wenige fern der anderen Gebäude im Ort, sondern ihr vielfältiger » Normalbetrieb « ist
meist im Zentrum für die Öffentlichkeit ausgerichtet. Noch ein anderes Merkmal hebt die Kirche von anderen Orten rund um sie herum ab:
die Stille.
Kaum ein Winkel eines Ortes oder einer Stadt ist so ruhig wie ein Kirchenraum.
Als eine regelrechte Insel der Stille im Alltagstrubel eröffnen Kirchen daher besonders in Zeiten der permanenten Beschallung in Einkaufszentren,
Cafés oder durch die Medien völlig neue Freiräume, in denen ich mich mit den wesentlichen Fragen meines Daseins beschäftigen kann oder einfach in Stille (bei Gott) verweile.
Kirchen sind dann » Hörräume, in welchen das Wort Gottes widerklingt « (Jakob Deibl: Arche und Stadt).
Kann man auf Straßen und Geschäften angesichts der Vielzahl der Geräusche und Laute keine Unterschiede mehr erkennen, so ermöglicht die Ruhe der
Kirche das Hinhören auf die stillen Töne des Lebens. So ist die Kirche ein Freiraum für die Begegnung mit mir selbst und mit meinem Gott. Die Bedeutung so
verstandener Kirchenräume für uns Menschen erkennen wir auch am Baumaterial, denn verglichen mit anderen Bauten des öffentlichen Raumes sind
Sakralbauten auf Langlebigkeit ausgelegt. Sie sollen Generationen überdauern und wenn eine Renovierung ansteht, dann nehmen wir im Respekt vor der
Vergangenheit auch Unannehmlichkeiten und große Mühen in den Pfarrgemeinden auf uns, um den Freiraum Kirche wieder offenhalten und nutzen zu können.
Die Kirche verbindet dann nicht nur drinnen mit draußen, sondern auch die Vergangenheit mit der Zukunft.

Das Leben unserer Pfarrgemeinde, unseres Pfarrverbandes, geschieht aber nicht nur in den Kirchen und Kapellen, sondern auch andernorts.
In regelmäßigen Abständen treffen wir uns im Pfarrhof zum Pfarrcafé und geben einander Raum im gemütlichen Beisammensein und freundschaftlichen
Gespräch. Die jährlichen Pfarrfeste sind ein Highlight und können nur so gut funktionieren, weil alle Beteiligten, die helfenden Hände wie die willkommenen Gäste,
sich gegenseitig Platz und Zeit einräumen. Weil wir in Freiheit miteinander feiern können, wird es ein Fest.

Dieses Jahr werden wir auch zum ersten Mal gemeinsam als Pfarrverband am » Melker Höfefest « teilnehmen. Wenn die ganze Stadt feiert, wollen wir uns
mitten im Dorf nicht versperren, sondern die Türen und Tore aufmachen, um Teil des gemeinsamen Festes zu sein. Dafür wollen wir einen Freiraum schaffen.

Kirchenräume sind Freiräume. Dies zu leben und lebbar zu machen liegt aber an uns, nicht an den Räumen. In den Sommermonaten haben wir einige Gelegenheiten dazu.

Fotos:
stock.adobe.com, 83595931
Bernhard Riedl in Pfarrbriefservice.se