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»Dich hat der Himmel geschickt«

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Den Hl. Abend und die Weihnachtsfeiertage verbringen wir zumeist mit lieben Menschen, die uns am Herzen liegen, und wir beschenken einander. Dazu haben wir uns in den Wochen – manchmal erst eilig in den Tagen davor – Gedanken gemacht, was denn zu dem|der Beschenkten wohl am besten passen würde und am meisten Freude machen könnte. Gleichzeitig soll ein Geschenk auch unserem eigenen Naturell entsprechen. Es muss also stimmen, damit die Übereinstimmung von Schenker und Beschenktem zum Ausdruck kommt. Beim Blick in die Gesichter der Partner|in, beim Strahlen der Kinderaugen oder dem Lächeln der Eltern sehen wir sofort, ob uns das geglückt ist. Erleichtert und froh sind wir, sobald das Geschenk fröhlich und wohlwollend angenommen worden ist. Oftmals erkennen wir dabei, dass es die kleinen und unvermuteten Gaben sind, die am meisten berühren, Freude machen und Sympathie, Zuneigung, ja, Liebe mehren; und in uns keimt die Ahnung, nicht die Gabe, sondern der Mensch dahinter ist das eigentliche Geschenk in unserem Leben.

Der weihnachtliche Brauch des Schenkens ist ein uralter, auch wenn er kein genuin christlicher ist. Die alten Germanen beschenkten in den kalten und rauen Winternächten den Gott Odan|Wotan, um ihn zu besänftigen und gnädig zu stimmen. Im alten Rom gab es auch die Tradition, sich in der kalten Jahreszeit Geschenke zu machen, so erfreute man einander zum Neujahrsfest mit kleinen symbolischen Gaben. Diese Tradition übernahm das Christentum, in dem bis ins Jahr 1691 das Weihnachtsfest auch gleichzeitig der Beginn des neuen Jahres war. Geschenke gab es zumeist am 28. Dezember, dem Festtag der unschuldigen Kinder. Schon im frühen Mittelalter aber verlagerte sich das Schenken vielmehr auf den 6. Dezember. Martin Luther wollte im Vergleich zum Nikolaustag aber den Tag des »Hl. Christ« stärken und die Geburt des Jesuskindes feiern. Die Rede vom in Bethlehem geborenen Christuskind verselbständigte sich aber im Laufe der Zeit zu einem teilweise recht volkstümlichen Verständnis vom »Christkind«, das die Kinder beschenkt.

Das Wort »schenken« selbst kommt aus dem Althochdeutschen und meinte »ein Gefäß schief halten«, womit der Akt des Ausschenkens bzw. Einschenkens gemeint war. Das mittelhochdeutsche »schenken« hieß demnach: »jemandem zu trinken geben«. Schenken beschrieb damit die mittelalterliche Gepflogenheit, Wanderern, Pilgern oder Reisenden am Weg einen Becher anzubieten. Gestärkt vom frischen Wasser und wohl beseelt von der freundlichen Begegnung konnte der Pilger frohgemut seinen Weg fortsetzen. Muss man bei diesem kleinen Geschenk am Weg nicht unweigerlich an das Jesus-Wort vom »lebendigen Wasser« in Joh 7,38 denken, das den Glaube an Jesus als den Heiland hervorströmen lässt? Beide Bilder sprechen hier davon, dass aus einer kleinen Begegnung Großes werden kann. Der erschöpfte Pilger findet wieder Kraft, weil er auf seinem Weg einen Moment der Rast, der Kräftigung und sicher auch ein freundliches Wort erfahren hat. Der|die Gläubige bei Johannes wird durch das einfache gläubige »Ja« zu Jesus vom Geist beseelt, der mächtig und unaufhaltsam wie ein Strom wird.

Auch zu Weihnachten bedienen wir uns – vielleicht unbewusst – dieser Symbolik, wenn wir im kleinen Kind zu Betlehem den menschgewordenen Gott feiern. Das beliebte und wunderschöne Lied »Es ist ein Ros entsprungen« ist einem Jesaja-Wort nachempfunden (»Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isai und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen.« Jesaja 11,1; siehe Artikel »Aus Kleinem wird Großes«) und es beschreibt genau diese Vorstellung, wonach aus Kleinem etwas Großes und Überwältigendes hervorgehen könne: Aus einer winzigen Knospe bzw. einem Trieb am Zweig (das ist mit Ros|Reis hier gemeint) werde das Heil der Welt in Jesus Christus entstehen. Was all diese Bilder und Vorstellungen verbindet, ist der Moment der Begegnung – mit Gott und dem Menschen. Ist diese Begegnung von Liebe, Zutrauen und Freundlichkeit getragen, können wir daraus neue Kraft schöpfen und zuversichtlich nach vorne blicken. Mag dieser Moment liebender Anteilnahme auch noch so klein sein, er tut uns gut und verbindet Geberin und Nehmerin. Begegnung wird dann zum Geschenk.

Die deutsche Indie-Rock-Band Sportfreunde Stiller scheint in ihrem Lied »Das Geschenk« von einer ähnlichen Erfahrung zu singen. Vordergründig mag der Song bloß von liebgewordenen Menschen und den Begegnungen mit ihnen handeln, vielleicht ist es ein Liebeslied. Euphorisch und überschwänglich singen nämlich die drei jungen Münchner von einem Gegenüber, das »fixe Grenzen einreißt«, »ausgetretene Pfade« zu wunderbar bunten Phantasien mache und weil es einem viel bedeute, würden die eigenen Gedanken immer um ihn|sie kreisen. Betrachtet man den Text genauer, scheint aber eine tiefere Dimension angesprochen, ist der liebgewordene Mensch doch »wie ein Bild, das Götter schufen« und »die Frage: Gibt es reiche Tage?« wird sofort mit der Erkenntnis beantwortet: »Ich spür, mit dir hat mich das Glück im Visier.« Hier redet jemand, der um die tiefere Bedeutung von Beziehung, Anteilnahme und Liebe weiß, die zwar klein beginnen mag, aber kraftvoll und nährend ist und somit zu etwas Großem werden kann, das unser alltägliches Verständnis übersteigt. Wer solches Miteinander erfährt, der ahnt, dass es nicht selbstverständlich ist, sondern immer auch ein Geschenk, das wir jemand anderen verdanken: »Dich hat der Himmel geschickt … du bist ein Geschenk«. Wenn wir uns zu Weihnachten beschenken, dann geben und nehmen wir nicht einfach etwas schön Verpacktes: Ich gebe was von mir an dich und du nimmst einen Teil von mir. Das ist Ausdruck einer Beziehung, die mit Worten nicht einfach zu beschreiben ist und daher selbst Geschenk ist.

Im finsteren Stall zu Bethlehem wird Gott selbst Mensch. Vielleicht können wir beim Anblick des kleinen Kindes die Größe und Strahlkraft des Moments nicht gleich erfassen. So staunen wir: »Dich hat der Himmel geschickt … du bist ein Geschenk!«

Text: Raimund Stadlmann
Bild: © AdobeStock_182708667.jpeg