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»Augenblick mal!«

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Dürfte ich Sie einen Augenblick um Ihre Aufmerksamkeit bitten?

Unser Sprachgebrauch kennt und nutzt eine Vielzahl an Redewendungen zum Wort »Augenblick«.

Augenblick (mal)! – als Halt! Stopp! Warte! Hör doch erst einmal zu!
»Augenblick, ich bin noch nicht fertig!« »Augenblick, so geht das nicht!« »Augenblick mal, was wollen Sie damit sagen?«, »Augenblick mal, da war ja noch etwas.«

Oder
Im letzten Augenblick – als gerade noch rechtzeitig.
»Lebensretter geehrt – Hilfe im letzten Augenblick« »Investor zieht sich im letzten Augenblick zurück« »Du erreichst die Straßenbahn im letzten Augenblick«

Oder
Jeden Augenblick – als sofort, im nächsten Moment.
»Sie sollte jeden Augenblick bei dir ankommen.« »Ich hatte Angst, ich könnte jeden Augenblick auffliegen.« »Bei dem Wellengang könnte das Boot jeden Augenblick kippen.«

Oder
»der große Augenblick« - »Augenblick der Wahrheit«, »einen lichten Augenblick haben«, »Lebe den Augenblick!«, »Einen Augenblick, bitte!«, …
diese Liste könnte noch erweitert werden, wir wollen die Wortspielereien vorerst aber nicht überstrapazieren.

Ursprünglich war mit »Augenblick« noch ganz wörtlich der »(schnelle) Blick der Augen« gemeint, so zum Beispiel im mittelhochdeutschen Nibelungenlied: »mit lieben ougenblicken wart gesehen an«. Spätestens im 16. Jahrhundert finden wir den Ausdruck in seinen beiden heute üblichen Bedeutungen: Zeitpunkt und eine kurze Zeitspanne.

Das Thema des perfekten Moments und der einzigartigen Augenblicke ist eines, das uns Menschen berührt, das unzählige Male besungen und wovon einmal mehr erzählt und geschrieben wurde und wird. Augenblicken, die mitunter lebensverändernd sein können, Momenten, in denen die Zeit still zu stehen scheint, werden in allen möglichen Kunstformen aber eben auch Lebensbereichen seit jeher große Bedeutung zugemessen. Gleichzeitig werden wir von Kalendersprüchen, Grußkarten oder Influencer*innen auf Social Media zurzeit gebetsmühlenartig zur Achtsamkeit aufgerufen. Einen »Glückstipp« habe ich beispielsweise online gefunden, der sagt: »Genieße den Augenblick! Achtsamkeit und volle Konzentration auf das, was gerade passiert, erzeugt Flow und damit auch Glück.« Diese Haltung liegt gerade unter Millennials (bezeichnet jene Generation, die im Zeitraum der frühen 1980er bis zu den späten 1990er Jahren geboren wurde) hoch im Kurs. Wir wissen aber natürlich auch aus unserer christlichen Tradition, dass Achtsamkeit und damit das bewusste Im-Augenblick-Sein nicht nur bloßer Lifestyletrend, sondern ein allgemeingültiges und wichtiges Rezept für ein glückliches und geglücktes Leben ist.

Nun noch einmal zurück zur Bedeutung dieser Thematik, die auch in unterschiedlichsten Kunstformen zum Ausdruck gebracht wird. Als großer Musikfan ist mir zuerst ein Liedtext von Farin Urlaub, dem Leadsänger der deutschen Punkrock-Band »Die Ärzte«, in den Sinn gekommen. Diesen und weitere Texte lesen Sie in Folge ausschnittsweise.

Es war so ein Moment,
Den man sonst aus dem Kino kennt
Unsere Blicke trafen sich
Es gab nur noch das Meer und dich
- Für mich
Er kommt niemals zurück
- Der perfekte Augenblick
Der dich das Leben lieben lässt
Ich denke an ihn und halte ihn nicht zu fest.
Farin Urlaub, der Augenblick

Das mit dem Festhalten von Augenblicken funktioniert, wie wir aus eigener Erfahrung wissen, nicht besonders gut. Einen, meiner Meinung nach, sehr guten Ansatz hat der bayrische Liedermacher Werner Schmidbauer gebracht. Er ist »Momentnsammler«, wie er im gleichnamigen Lied besingt:

Unter mir de Welln und über mir de Wolkn fliagn,
Scheena wia jetz grad konn is gar ned kriagn,
I bin Momentnsammler,
I bin Momentnsammler.
Nix is so schee wia der Moment,
Wo ois so is wias ghert
und as Leben kriagst einfach gschenkt.
Und des allerbeste is dabei:
Wennsd den Moment gfundn host, Is er vorbei.
Werner Schmidbauer, Momentnsammler

Und ein letzter Text, der sich in diese Reihe einfügt, kommt vom deutschen Liedermacher und Autor Konstantin Wecker:

Jeder Augenblick ist ewig, wenn du ihn zu nehmen weißt. Ist ein Vers, der unaufhörlich Leben, Welt und Dasein preist. Alles wendet sich und endet und verliert sich in der Zeit. Nur der Augenblick ist immer. Gib dich hin und sei bereit!

Alle drei Texte, so unterschiedlich ihre Autoren auch sind, erzählen vom selben Erleben. Von diesen Augenblicken, »die uns das Leben lieben lassen« und der Kunst sie nicht festzuhalten und trotzdem auf ewig aufzubewahren, indem wir uns dem Moment hingeben, offen und bereit dafür sind. Auch unser Glückstipp von vorhin schlägt in die gleiche Kerbe.

Am Ende möchte ich noch eine kleine Abzweigung nehmen, weg von den Augenblicken als kurze prägende Erlebnisse und Begegnungen im Alltag. Neben den beiden zu Beginn beschriebenen Wortbedeutungen, Sie erinnern sich, Zeitpunkt oder kurzer Zeitabschnitt, wohnt diesem Wort nämlich noch ein anderer wichtiger Aspekt inne. »Augenblick« im ursprünglicheren Sinn von jemanden anschauen, jemandem Ansehen geben. Hier geht es um einen respektvollen Blick füreinander, um Offenheit und gegenseitige Akzeptanz und vor allem auch um Empathie und gelebte Nächstenliebe. Mit einem bewussten »Augenblick« gelingt es, Unsicherheiten zu beseitigen und Verbindungen zu schaffen. Das funktioniert dann wohl so ähnlich wie mit dem »Lächeln das man aussendet und welches stets zurückkehrt«. Einen Versuch wär’s wert.

Text: Lisa Funiak
Bild: © AdobeStock_349361794.jpeg