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»Vater Unser«

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Macht es Sinn, über ein Gebet zu sprechen, das doch ohnehin jeder kennt? Das nicht nur im Gottesdienst aller christlichen Gemeinschaften seinen festen Platz hat, sondern auch im persönlichen, familiären Alltag immer dann gebetet wird, wenn man nicht selbst überlegen muss, was wir Gott sagen wollen. Ist das aber nicht allzu oft einfach »dahergeplappert«? Erfassen wir den Glaubensschatz, der uns in diesem Gebet angeboten wird?

Diesen zu heben und einzelne Aussagen gründlicher zu verstehen, ist mein Anliegen. Nach der Lektüre von P. Reinhard Körners Buch »Das Vaterunser. Spiritualität aus dem Gebet Jesu«, auf das ich mich vorwiegend beziehe, sind mir selbst Aspekte aufgefallen, die mir neue Blickwinkel ermöglichten. Dass beispielsweise ein bestimmtes Gottesbild auch Auswirkungen auf unser Menschenbild, auf unser Leben hat. Daher ist es nicht egal, an welchen Gott wir glauben: an einen rächenden, strafenden, der uns ständig im Auge behält und Angst macht, oder an einen uns nahen, liebenden, sich um unsere Schöpfung sorgenden Gott.
Deshalb hat Jesus uns ein Gebet gelehrt, das uns helfen kann, uns von Gott kein falsches Bild zu machen und uns Lebensorientierung sein kann. Dazu hat er Teile aus dem jüdischen Kaddischgebet übernommen, das er selbst als Jude gebetet hat, und in seinem Sinne adaptiert.

Vater unser im Himmel
Wenn Jesus seinen Vater als »Abba« (Papa) anspricht, ist das ein sehr vertrauensvolles Wort, das eine enge Beziehung voraussetzt. Es ist ein Bildwort, das nicht für eine menschlich gedachte männliche Gottheit steht, sondern Gottes fürsorgende, barmherzige und stets nahe Liebe in den Mittelpunkt stellt. Genauso könnten wir »Mutter« mitdenken. Gott ist wie Vater und Mutter, Schöpfer, Liebhaber jeden Geschöpfes und von aller Schöpfung. Wenn wir Abba sagen, ist daher für Gottesangst kein Platz mehr, sondern nur für eine grenzenlose Liebe, die trotz aller Schuld uns umgibt und unser Leben begleitet. Und wenn das Wort »unser« hinzugefügt wird, zielt das auf Weltgemeinschaft. »Unser Papa« ist für alle da. Da ist niemand ausgeschlossen! Wir gehören alle zu Gottes Familie.

Geheiligt werde dein Name
klingt nach antiquierter Kirchensprache, die das Eigentliche kaum mehr zum Ausdruck bringt. Es ist nämlich keine Bitte, sondern eher ein Wunsch, den Jesus für seinen Vater hier ausspricht. Er wünscht ihm, dass alle Menschen seinem Namen alle Ehre machen und von ihm nicht dummes Zeug daherreden sollen, wie es das zweite Gebot aus dem AT zum Ausdruck
bringt: Du sollst den Namen Gottes nicht verunehren. Und was den Namen Gottes selbst betrifft, verweise ich auf Mose, der auf die Frage nach dem Gottesnamen eine klare Antwort erhält: »Ich bin da als der, der ich da sein werde.« Immer anwesend, aber nie verfügbar.

Dein Reich komme
Jesus selbst hat sehr viel vom Reich Gottes gesprochen, aber nie exakt definiert, was darunter zu verstehen ist. Stattdessen greift er auf Gleichnisse zurück, die er oft mit dem Satz »Das Himmelreich ist wie …« einleitet. Damit will er zum Ausdruck bringen, dass es sich dabei nicht um eine Herrschaft im weltlichen Sinn handelt, die daherkommt mit Pauken und Trompeten, sondern um ein Reich des Friedens, der Versöhnung, der Liebe, der Ehrfurcht vor allem Leben.
Und das ist schon angebrochen - mitten unter uns. »Es ist ein Reich im Jetzt und Heute ... angelegt in jedem Menschen unter dem Firmament, … hineingesät wie das Senfkorn in jedem Acker.« (Körner 150) Zwar schon da, dort, wo wir uns selbst bemühen, daran mitzuarbeiten, aber noch nicht vollkommen. »Erst wenn für den Menschen der Tag der Ewigkeit anbricht, wird es in Vollendung da sein.« (149) Mit der Bitte »Dein Reich komme« gehen wir also auch ein Versprechen ein, nämlich alles zu tun, was in unserer Macht steht, die Welt ein klein wenig menschlicher und gottgefälliger zu gestalten.

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden
Unter »Wille« verstehen wir heute die Entschlusskraft des Menschen, früher hat man den Begriff weiter gefasst im Sinne von einer Grundhaltung. Nach Körner könnte daher eine moderne Übersetzung so lauten: »Abba, deine Einstellung zu uns Menschen und zu aller Schöpfung möge auch unsere Grundhaltung sein.« (155) In der Bergpredigt verdeutlicht uns Jesus: Wenn Gott die schrankenlose Liebe ist, ist sein Wille, dass niemand in der Welt von dieser ausgeschlossen sei und dass diese Liebe auch das Miteinander der Menschen prägen solle.

Unser tägliches Brot gib uns heute
Wenn wir um das Notwendige für unser Leben bitten, dürfen wir darauf vertrauen, dass er uns gibt, was wir brauchen. Um dieses Vertrauen in die Güte des Vaters geht es in dieser Bitte des Vaterunsers. Darüber hinaus soll sie uns zur Geschwisterlichkeit aufrufen mit Menschen, denen es am Nötigsten fehlt.

Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern
Wir wagen dies zu bitten, weil wir wissen, dass unser Abba dies immer schon tut, weil wir wissen, dass wir in seinen Augen trotz allem wertvoll sind. Und weil Gott uns vergibt, können und sollen auch wir loslassen, was andere uns angetan haben.

Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen
Papst Franziskus hat neulich darauf hingewiesen, dass es nicht Gott ist, der uns in Versuchung führt, sondern vielmehr Gott, der uns in der Versuchung führt und begleitet. In dieser Bitte äußert sich daher das Vertrauen auf einen guten und treuen Gott, der immer für uns da ist und uns jederzeit führt: auch in dunklen Stunden – und auch in Situationen, in denen wir in Versuchung geraten. Und da die Bibel mit der Realität des Bösen rechnet und von der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen weiß, bitten wir Gott, dass er uns »hinwegreißen möge aus der Macht des Bösen« (206), wie immer man sich die denken mag.

denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit
Dieser Lobpreis fasst noch einmal alles zusammen:
»… bei diesem bedingungslos liebenden Abba-Gott allein ist das Reich zu finden, in dem man menschenwürdig leben kann; ist die Kraft zu holen, die die Macht des Bösen überwindet und durch ihn erst bekommt alles, was zum Leben gehört, Herrlichkeit, wird kostbar und schön – und das wird es bleiben bis in die Ewigkeit hinein …« (209)

Text: August Brückler
Bild: © AdobeStock_787173032.jpeg