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»Macht die Fenster auf!«

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»Macht die Fenster weit auf!« Mit diesen Worten soll laut (unbestätigter) Anekdote Papst Johannes XXIII. nach seinem Amtsantritt 1958 eine Öffnung und Modernisierung der Kirche eingeläutet haben. Der Papst - und viele andere wohl auch - empfanden die Strukturen der damaligen Kirche als zu verkrustet und so verordnete er ihr »Aggiornamento«, Verheutigung. Um es salopp zu sagen: Der alte Mief sollte raus und frischer Wind für neue Energie sorgen. Wir wissen, wie es weiterging. Das II. Vatikanische Konzil wurde ausgerufen und ein Modernisierungsschub, der neue Kräfte freisetzte und das Engagement unzähliger Menschen befeuerte, erfasste die katholische Kirche. Das Öffnen der Fenster hatte neue Lebendigkeit gebracht. Was Johannes XXIII. damals als eine Notwendigkeit für die Kirche empfunden hatte, ist auch uns immer wieder ein Bedürfnis, und daher reißen wir die Fenster auf, damit frische Luft hereinkann. Und das ist durchaus wörtlich gemeint.

Gerade nach den kalten Wintermonaten freuen wir uns, wenn wir im Haus oder in der Wohnung einmal alle Fenster und Türen aufmachen können und der frische Frühlingswind die abgestandene Luft im Keller und den Wohnräumen rausbläst. Bei diesen Gelegenheiten durchforsten wir schon mal Kästen und Kommoden, um einerseits das warme Wintergewand gegen leichtere Kleidung auszutauschen, andererseits um zu schauen, was wir vielleicht gar nicht mehr brauchen und weggeben können. Wir misten aus und machen Platz für Neues. Was wir aber noch gut brauchen können, was uns wertvoll und wichtig ist, das verwahren wir sorgsam an einem sicheren Ort, um es dann wieder hervorzuholen, wenn es notwendig ist. Mitunter sagen wir: »Wer weiß, wann ich es noch brauche. Das hebe ich lieber auf.« Einiges davon bedarf auch der Pflege, wird daher gewaschen, geputzt oder Mängel werden behoben, damit wir lange Freude daran haben und es nutzen können. Oft entwickeln wir dabei sogar überraschende Energie und es scheint, als würde uns allein der Gedanke an Erneuerung ungeahnte Kräfte für das verleihen, was wir vorher schon oft hinausgeschoben haben. Man könnte meinen, der frische Wind, der durch die geöffneten Fenster kommt, greift uns regelrecht unter die Arme.
Dieses Durchlüften praktizieren wir aber nicht nur in unseren Wohnungen und Häusern, wir gönnen es (hoffentlich) auch uns selbst immer wieder, denn wir Menschen bedürfen auch häufig der Erfrischung, um neue Kraft tanken zu können. Bildlich gesprochen reißen wir die Fenster von Körper, Geist und Seele auf und lassen frischen Wind rein, damit die abgestandene Luft, die keine Lebensenergie spendet, aufgewirbelt und erneuert wird.

Bei jeder Arbeitspause machen wir im Grunde nichts anderes. Wir unterbrechen das hektische und hitzige Treiben, vielleicht setzen wir uns sogar in den Schatten oder in die frische Luft, genießen ein kühles Glas und schnaufen einige Augenblicke durch. So erfrischt können wir wieder mit neuer Energie ans Werk gehen und unsere Arbeit in Haus, Feld und Garten, Büro, Geschäft oder Werkstatt weiterführen. Machen wir das nicht, ermüden wir und uns geht die Energie aus.
»Frisch ans Werk!« kann dann niemand von uns rufen. (Übrigens: Auch beim Schreiben dieser Zeilen war zwischendurch ein Gang an die frische Luft oder ein aufmunternder Espresso nicht von Nachteil.)
Das soll aber nicht heißen, es gehe immer um ein Innehalten in Stille oder ruhiges Pausieren, wenn man neue Kraft schöpfen möchte. Nein, denn Energie kann ich genauso gewinnen, wenn ich die Arbeit durch andere Aktivität hinter mir lasse und einen Spaziergang mache, Sport treibe oder den Bürotisch gegen die Werkbank tausche. Für viele ist nämlich körperliche Aktivität, ein regelrechtes »Auspowern« als Abwechslung zum ermüdenden Arbeitsalltag, auch eine Möglichkeit, den Kopf freizukriegen und auf frische Gedanken zu kommen. Gerade in Zeiten, in denen viele von uns einer sitzenden Tätigkeit nachgehen, ist dies für Körper und Geist besonders wertvoll. »Ich muss mich wieder mal auslüften!« oder »Ich brauche dringend Bewegung!« sind Formulierungen, die dieses Bedürfnis so treffend beschreiben.
Bei vielen Menschen sind auch Reisen sehr beliebt, um aus dem Alltag auszubrechen und Neues zu erleben. Das Kennenlernen neuer Kulturen, anderer Menschen in fremden Ländern oder einfach nur durch das gemeinsame Unterwegssein in einer bunt zusammengewürfelten Reisegruppe kann erfrischend Neues zutage fördern. Ein englisches Sprichwort sagt: »Travel broadens the mind!« (Reisen erweitern den Horizont!), was für Nah und Fern gleichermaßen gelten kann. Denn öffne ich beim Reisen oder im Urlaub die »Fenster« meiner Sinne, meines Herzens und des Geistes, dann werde ich aus der Begegnung mit anderen Menschen, Meinungen und Lebensentwürfen auch für mich selbst frische Perspektiven und neue Kraft gewinnen können. Das wird aber nur gelingen, wenn ich aktiv hinschaue und etwas wahrnehmen will. Wessen Sinne passiv bleiben, dessen Geist wird wohl nirgends »durchgelüftet« werden und der/die nimmt sich die Chance, an einem anderen Ort einen neuen, erfrischenden Blick auf das je eigene Leben daheim zu erhaschen.

So ist es auch in den Beziehungen. Wir pflegen unsere Partnerschaften, Freundschaften und Familienbande, indem wir für ein wenig Erfrischung sorgen. Einfach einmal rausgehen und etwas gemeinsam unternehmen, aktiv das Gespräch suchen und abseits gewohnter Pfade gehen, ist etwas Gutes. Sich füreinander Zeit nehmen, heißt miteinander etwas tun, heißt offen aufeinander zugehen. Das ist eine Bewegung, kein Stillstand. Freunde treffen, miteinander essen gehen, eine Veranstaltung oder ein Fest in Gemeinde, Pfarre oder andernorts besuchen, hilft uns, den Trott des Alltags zu durchbrechen. Auch so lassen wir den Mief und die abgestandene Luft des Alltags hinter uns. Gestärkt von diesen erfrischenden Erfahrungen können wir nach vorne blicken und vertrauensvoll Neues wagen.
Wir bleiben lebendig.

Text: Raimund Stadlmann
Bild: AdobeStock_267247970