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»Gebt einander ein ZEICHEN!«

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Seit meiner Zeit als Ministrant in den fernen Kindertagen ist mir im sonntäglichen Gottesdienst besonders ein kurzer Moment, ein auf den ersten Blick recht kleines Ritual, lieb geworden: Es ist jener Augenblick, wenn mit den Worten »Gebt einander ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung!« zum Friedensgruß aufgefordert wird. Meine Sympathie für diesen Akt der Freundlichkeit hat aber eine längere Geschichte. Als Kind hat mich der Friedensgruß nämlich erstmal in ein – überspitzt formuliert – moralisches Dilemma gestürzt. Stand doch neben mir immer wieder der Ministrantenkollege, den ich eigentlich nicht besonders leiden konnte. Wie konnte ich ihm den Frieden wünschen, wo er mir doch so gar nicht zu Gesichte stand? Warum sollte ich dem gegenüber freundlich sein, der es mir gegenüber nicht war? Aber beim Dienst am Altar, wo alle Augen auf einen gerichtet sind, blieb mir keine Alternative. Also, Hand hinhalten, Augen zu und durch: »Der Friede sei mit Dir!«

Aus heutiger Perspektive muss ich natürlich über diese aufrichtig-kindliche Sicht schmunzeln und ich könnte dem Buben von damals sagen: »Nimm es nicht so ernst, du wirst noch oft in deinem Leben ein freundliches Gesicht aufsetzen müssen, auch wenn dir der/die andere nicht sympathisch ist.« Stimmt! Aber das hat mit dem Frieden nichts zu tun, der ist nämlich keine Frage von Sympathie oder lieb sein. Frieden ist mehr!

In heutigen Zeiten, in denen wir von Krisen und Kriegen nur so gebeutelt sind, und uns nahezu täglich neue Schreckensmeldungen erreichen, scheint Frieden eine sehr ferne Sehnsucht zu sein. Wir sind zwar nahezu alle in sicheren und friedlichen Verhältnissen aufgewachsen und dürfen auch gegenwärtig in ihnen leben, aber so manche politische Entwicklung der letzten Jahre, Monate oder Wochen erschüttert uns und wir müssen erkennen, wie gefährdet und eben nicht selbstverständlich Frieden unter den Menschen ist. Dabei fällt mir ein alter Hit der legendären britischen Rockgruppe Queen rund um Frontman Freddie Mercury ein, der singt: »The one thing we‘re all waiting for / is peace on earth, an end to war / it‘s a miracle we need, the miracle /the miracle we‘re all waiting for … today.« (»Das eine, worauf wir alle warten, ist Frieden auf Erden und ein Ende des Krieges. Das ist das Wunder, das wir brauchen. Das Wunder, worauf wir alle warten … heute.« The Miracle; 1989)

Diese Zeilen mögen sich schön und richtig anhören, aber ich stelle mir die Frage, wie das Wunder Frieden wirklich werden kann. Ist für ein Wunder nicht Gott zuständig? Worauf wartet er? Und was ist überhaupt ein Wunder?

Einfach gesagt verstehen wir unter einem Wunder ein Ereignis, das den logischen Zusammenhängen unserer Welt widerspricht, weswegen wir es als Gläubige gerne als Eingreifen Gottes interpretieren. Vielleicht sollten wir bei unserer Frage nach dem Frieden aber nicht vorschnell Gott ins Spiel bringen, sondern bei uns selbst ansetzen, denn auch wir können einiges tun, damit Frieden wird.

So hat uns der Evangelist Matthäus etwa in seinem Evangelium mit der Bergpredigt (Mt 5–7) ein sehr umfassendes Handwerkszeug gegeben, das wir zur Verwirklichung des Friedens anwenden können. Die moralischen Forderungen dieser großen Lehrrede zielen auf ein solidarisches Menschenbild, das für alle eine gerechte und friedliche Welt anstrebt, ab. Neben dem Gebot der Gottes- und Nächstenliebe ist uns hier natürlich die sog. Goldene Regel gut bekannt: »Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen!« (Mt 7, 12) Ich denke, diese Weisung ist ein recht praktikables und auch einfaches Mittel für ein friedvolles Miteinander, hat sie doch das Wechselspiel von Ich und Du gleichermaßen im Blick. Ähnliches gilt wohl auch für das Gebot der Nächstenliebe, das der jüdische Philosoph Martin Buber einmal mit »Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du!« übersetzt hat. Auch hier wird der/die Andere als liebes-, hilfs- und friedensbedürftiger Mitmensch verstanden, der man auch selber ist.

Eine andere Möglichkeit, den Frieden auf der Welt zu mehren, könnten die v.a. im amerikanischen Raum bekannten random acts of kindness (zufällige Akte der Freundlichkeit) sein. Damit sind kleine, absichtslose Gesten gemeint, die man Bekannten oder auch Fremden gegenüber tätigt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Im Internet findet man dazu mittlerweile unzählige Vorschläge, z. B. auf den ersten Blick so banale Dinge wie eine spontane Café-Einladung oder ein überraschender Brief. Tatsächlich nichts Großartiges, aber etwas Unerwartetes, das dir und mir guttut. Solche kleinen Gesten, aus denen dann viel mehr werden kann, hatte vielleicht auch der dt. Kabarettist Hanns Dieter Hüsch im Sinn, als er einen bekannten Spruch abwandelte und meinte: »Der Friede fängt beim Frühstück an.« Für mich heißt das, Friede in der großen Welt kann es nur dann geben, wenn wir vorbehaltlos im Kleinen und auch daheim am (Frühstücks-)Tisch friedlich miteinander umgehen. Wer morgens grantelnd und mieselsüchtig das Haus verlässt, wird wohl kaum andere mit Freundlichkeit und friedlicher Stimmung anstecken – das leuchtet auch mir Morgenmuffel ein.

Wem es aber gelingt, hier über seinen Schatten zu springen, oder wer es schafft, die für unsere moderne Konsumgesellschaft oft so typischen Mechanismen wie Egoismus und Neid gegen vorbehaltlose Freundlichkeit und Nächstenliebe ohne Bedingung auszutauschen, kann eventuell tatsächlich dem Frieden im Kleinen zum Durchbruch verhelfen. Ein freundlicher Gruß, ein spontanes Geschenk oder die hilfreiche Tat, wenn man nicht damit rechnet, können dann ein Wunder bewirken und große Folgen haben. Das Schöne am Frieden ist, er fängt im Kleinen an. Zum Beispiel am nächsten Sonntag: Einfach einmal umdrehen, Hand ausstrecken, Augen auf und durch: »Der Friede sei mit Dir!«

Text: Raimund Stadlmann
Bild: AdobeStock_649281164.jpeg