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»Was willst du hier, Elija?«

Sie sind hier:

Der Herr sprach zu Elija:
Komm heraus und stell dich auf den Berg vor den Herrn!
Da zog der Herr vorüber:
Ein starker, heftiger Sturm, der die Berge zerriss und
die Felsen zerbrach, ging dem Herrn voraus.
Doch der Herr war nicht im Sturm.
Nach dem Sturm kam ein Erdbeben.
Doch der Herr war nicht im Erdbeben.
Nach dem Beben kam ein Feuer.
Doch der Herr war nicht im Feuer.
Nach dem Feuer kam ein sanftes, leises Säuseln.
Als Elija es hörte, hüllte er sein Gesicht in den Mantel,
trat hinaus und stellte sich an den Eingang der Höhle.
Da vernahm er eine Stimme, die ihm zurief:
Was willst du hier, Elija?

Eindrucksvoll beschreibt der Erzähler des ersten Königsbuches im Alten Testament den dramatischen Moment, in dem der Herr dem Propheten Elija begegnet. Den meisten sind diese Verse auf irgendeine Weise bekannt. Das Bild eines Gottes, der im Säuseln und nicht in den tobenden Naturgewalten erscheint, ist ja auch ein sehr starkes und sympathisches, sodass es häufig im kirchlichen Alltag aufgegriffen wird. Wir wollen in unserem Koloman auch einen Blick darauf werfen und fragen, ob wir dieses Erlebnis des Elija nicht auch für unsere Sommermonate fruchtbar machen dürfen.

EINFACH WEG!
Elija ist einer der größten Propheten des Volkes Israel. Er wurde von Gott zur Zeit des Königs Ahab berufen und sollte den Glauben an Gott verkünden, und das war wahrlich ein Knochenjob! Denn Ahab tolerierte neben dem Jahwe-Kult auch die Verehrung der Gottheit Baal, religiöse Konflikte standen also auf der Tagesordnung. Um den Anspruch Jahwes als den einzigen Gott durchzusetzen, tat Elija Wunder und verhieß im Namen Gottes sogar eine Dürre, die das Land und die Menschen plagte. Wir können annehmen, dass die Aufgabe Elija belastete und wir leiden beim Lesen der Kapitel im Königbuch mit ihm mit, wenn wir von seiner Flucht in die Wüste erfahren, weil der König und die Frau nach seinem Leben trachten. Elija überlebt auf wundersame Art und Weise und es kommt zum Showdown auf dem Karmel. Der Jahwe-Prophet Elija steht 450 Baal-Priestern gegenüber. Doch als nicht ihr Zeichen gelingt, sondern die Opferhandlung des Elija, steht er als Sieger da und lässt kurzerhand die Hundertschaft von Gegnern hinrichten. Wieder muss er vor der königlichen Rache fliehen und zieht sich in eine Höhle am Horeb zurück. Er hofft, in der Einsamkeit fern aller Menschen davonzukommen und seine Ruhe zu haben. Was es heißt, Prophet zu sein, können wir heute natürlich nicht nachvollziehen und auch die Brutalität der Erzählung lässt uns ratlos zurück.
Dass Elija aber einfach wegmusste, nichts mehr mit all dem zu tun haben wollte, das könnten auch wir heute verstehen. Wer mag es ihm verdenken, dass er genug von seiner Prophetentätigkeit hatte und ihm alles zu viel wurde. »Einfach weg! Dorthin, wo mich keiner findet!« Vielleicht hat Elija so gedacht … und vielleicht denken auch wir heute oft so.

RÜCKZUG IN DIE STILLE
Elija zieht sich am Berg Horeb in die Einsamkeit zurück. Es ist ein langer und anstrengender Weg dorthin. Dem Propheten geht es da wohl wie allen, die den Weg in die Einsamkeit und Abgeschiedenheit wagen. Abseits der vertrauten Welt, nur mit sich alleine und den eigenen Gedanken konfrontiert beginnt etwas in Elija zu arbeiten. Wir können nur mutmaßen, denn die Bibel erzählt uns hier nicht viel, aber vermutlich hatte Elija manches zu verarbeiten, viel nachzudenken und so einiges aus seinem Leben zu reflektieren. Zeit hatte er ja nun, da er alleine in einer Höhle war. Abgeschieden von der Welt und den Wirren seiner Zeit. Zugegeben: Die Umstände, unter denen Elija diese Abgeschiedenheit gesucht hat, sind wir ihm nicht neidisch. Und die Krise, in die sie ihn gestürzt haben, wohl auch nicht. Aber sich einmal nur um sich selbst kümmern müssen, alles andere ausblenden können und einmal kurz in einer abgeschiedenen »Höhle« Zuflucht finden … Wäre das nicht reizvoll?

GEH DEINEN WEG ZURÜCK!
Nun kommt es zu etwas Erstaunlichem, als Elija die Stille der Höhle angenommen hat, die wie ein Kokon wirkt, in den sich der Prophet völlig auf sich allein konzentriert. Es ist Gott, der ihm begegnen will und fragt: »Was willst du hier, Elija.« Der Prophet legt seine Zweifel und Nöte vor den Herrn, er sagt ihm alles, was ihn bewegt und worauf er an seinem Rückzugsort gekommen ist. Es folgt unsere eingangs zitierte Szene, in der sämtliche Naturgewalten tosend vorbeiziehen. Doch erst im leisen, fast stillen Säuseln ist Gott zu erkennen. Es ist eine Auferstehungsszene, die wir da lesen, wenn Elija wie neu lebendig aus der Dunkelheit der Höhle kommt, die gleichsam wie der Mutterschoß den Neugeborenen ins Leben entlässt. Jahwe ist da, er ruft Elija in sein Leben zurück. 

Welch starker Moment! Wir erkennen sofort, dass es die Stille brauchte, dass der Rückzug notwendig war, um Gott überhaupt zu hören. Nur weil Elija das laute Treiben gegen die verinnerlichte Ruhe getauscht hatte, konnte er seine Stimme vernehmen.

WAS WILLST DU HIER?
Ja, es ist weit hergeholt, das Schicksal Elijas damals mit unserem Leben heute zu vergleichen. Und schon gar nicht kann man die Zeit des Propheten in der Höhle mit einem Urlaub gleichsetzen. Auch neugeboren werden wir aus ihm nicht zurückkehren. Aber eventuell finden wir einen ruhigen Moment in diesem Sommer, in dem wir die aufrichtige und mitten in unser Dasein zielende Frage zulassen: »Was willst du hier?« Wenn es leise, ganz leise ist, hören vielleicht auch wir dann im Säuseln jemanden, der eine Antwort für uns hat und uns begegnen will.

Text: Raimund Stadlmann
Bild: © AdobeStock_560469074.jpeg